Zum morgen im Bundestag vorgestellten Siebten Armuts- und Reichtumsbericht der Merz-Regierung erklärt die sozialpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Cansın Köktürk: „Dieser Bericht bestätigt, was Millionen Menschen in Deutschland tagtäglich erfahren: Armut und soziale Ungleichheit sind keine Ausnahmen, sie sind strukturelle Realität. Doch die Bundesregierung behandelt diese Realität nicht als politischen Notstand, sondern als statistische Routine. Soziale Spaltung wird verwaltet statt bekämpft.“
Der Bericht zeigt deutlich, dass seit Jahren 15 bis 18 Prozent der Bevölkerung „armutsgefährdet“ seien – und somit bereits knapp über dem Existenzminimum leben. Außerdem verzichten 17,6 Prozent der Menschen auf grundlegende Bedürfnisse wie ausreichende Heizung, gesunde Ernährung oder soziale Teilhabe verzichten müssen. Köktürk kritisiert den Umgang der Merz-Regierung mit diesen Zahlen scharf: „Wenn Millionen Menschen im reichen Deutschland in Verzicht, Scham und sozialer Ausgrenzung leben müssen, dann ist das kein bedauerlicher Zustand, sondern das Ergebnis einer verfehlten Wirtschafts-, Sozial- und Steuerpolitik. Wer solche Zustände nüchtern beschreibt und relativiert, verharmlost Armut.“
Besonders skandalös sei nach Ansicht Köktürks die Beschreibung von Armut als „Normalzustand“ und nicht als Resultat politischer Entscheidungen, die auch immer mehr Erwerbstätige, Kinder und Alleinerziehende treffen. Statt verbindliche soziale Mindeststandards zu setzen, begnüge sich die Bundesregierung mit Datenerhebung. „Wer Armut misst, aber nicht bekämpft, nimmt sie billigend in Kauf. Hinter jeder Zahl steht ein Mensch, ein Kind, eine Familie – das scheint im politischen Berlin vergessen zu werden“, so Köktürk.
Der Bericht benenne zwar Niedriglöhne, prekäre Beschäftigung und fehlende Tarifbindung als zentrale Armutsrisiken, vermeide jedoch jede grundlegende Kritik an der bestehenden Lohnstruktur. Zentrale Instrumente wie ein armutsfester Mindestlohn, Arbeitszeitverkürzung und starke Mitbestimmung würden nicht als entscheidende Hebel gegen Armut trotz Arbeit behandelt. Auch beim Thema Wohnen bleibe der Bericht mutlos. Obwohl explodierende Mieten, Wohnungsmangel und soziale Verdrängung zentrale Armutsbeschleuniger seien, würden Macht- und Eigentumsfragen konsequent ausgeklammert.
„Der Wohnungsmarkt wird als soziales Problem beschrieben, nicht als Ergebnis politischer Entscheidungen oder renditegetriebener Märkte. Die vorgeschlagenen Maßnahmen sind angesichts der Krise erschreckend unzureichend“, kritisiert Köktürk. Kinderarmut werde zwar beklagt, aber nicht konsequent bekämpft. Dass Bildungserfolg weiterhin massiv von der sozialen Herkunft abhänge, sei ein Offenbarungseid für ein reiches Land. Am gravierendsten sei jedoch das Schweigen über Reichtum und Macht:
„Während Armut bis ins Detail vermessen wird, bleibt Reichtum ein Randthema. Vermögenskonzentration, große Erbschaften, Kapitalerträge und der politische Einfluss der Superreichen werden systematisch unterbelichtet. Wer über Armut spricht, aber Reichtum schont, verteidigt bestehende Machtverhältnisse.“
Das Fazit von Cansın Köktürk fällt eindeutig aus: „Der Siebte Armuts- und Reichtumsbericht ist datenreich, aber politisch mutlos. Er beschreibt soziale Spaltung, ohne sie bekämpfen zu wollen. Deutschland braucht einen Kurswechsel: verbindliche Maßnahmen gegen Armut, eine entschlossene Regulierung des Wohnungsmarktes, faire Löhne und eine echte Umverteilung von oben nach unten. Alles andere ist Verrat an denjenigen, die ohnehin zu wenig haben. Wer Armut dokumentiert, aber nicht abschafft, schützt die Profite der Reichen und opfert die Armen.“